Wenn im 21.Jahrhundert ein Mensch verstirbt, hinterlässt er nicht nur klassisches Vermögen wie Immobilien, Hausrat, Bargeld, Konten und Geschäftsbeziehungen in der realen Welt.
Zu seinem Nachlass im rechtlichen Sinne gehören auch PC/Laptop, Smartphone, gespeicherte Daten, virtuelle Konten, Paypal, Internetdepots, Bitcoins, E-Mail-Accounts, Twitter-, Facebook-, Instagram-, Tumblr-, Xing- und WhatsApp-Accounts, Blogs oder Youtube-Kanäle und Vertragsbeziehungen zu spotify, amazon oder Zalando & Co.
Und dieser sogenannte „digitale Nachlass“ bleibt auch nach dem Tod eines Menschen unter Umständen sehr lebendig und bedarf sorgfältiger Behandlung. Aber wie ?
Fanden Erbinnen/Erben früher in Schränken und Regalen Ordner vor, aus denen sich relativ unproblematisch ermitteln ließ, woraus der Nachlass bestand, sitzen sie heute vor Laptops und Smartphones, zu denen sie häufig noch nicht einmal einen Zugang haben, weil sie das Passwort nicht kennen und selbst wenn sie Zugang erlangen, sind sie häufig kaum einen entscheidenden Schritt in der Erforschung etwaigen Nachlassvermögens weiter.
In Testamenten oder Vorsorgevollmachten finden sie ebenfalls kaum Regelungen zum digitalen Nachlass. Denn wer hat schon darüber nachgedacht, einen digitalen Testamentsvollstrecker zu bestimmen oder (wie bei manchen Webdiensten z.B. www.mywebwill; www.legacylocker.com oder www.securesafe.com) zu seinen Lebzeiten Geld dafür ausgegeben, dass dort gespeicherte Passwörter im Todesfall an eine hinterlegte Vertrauensperson gesendet werden ? Von den Sicherheitsbedenken, die solchen Diensten gegenüber erhoben werden einmal abgesehen.
Auch die Provider stehen diesen Problemen oft und immer noch recht hilflos gegenüber. Teilweise bestimmen sie in ihren AGB, dass beim Tod eines Account-Inhabers der Account automatisch erlischt, häufig werden Konten nach längerer Inaktivitätszeit gelöscht, Facebook gewährt Angehörigen und beliebigen Mitgliedern die Möglichkeit, den Account in einen Gedenkstatus zu versetzen.
Es kollidieren einerseits das Recht und die Pflicht der Erben auf „Inbesitznahme“ und Verwaltung auch des digitalen Nachlasses (ein Impressum auf einer Homepage muss beispielsweise gemäß § 6 Telemediengesetz innerhalb von 6 Wochen angepasst werden, sonst drohen Bußgeld und Abmahnung) mit Datenschutzrechten, dem Fernmeldegeheimnis und dem postmortalen Persönlichkeitsrecht der Erblasserin/des Erblassers auf der anderen Seite. Und allein die Vorlage eines Erbscheins führt häufig nicht weiter.
In rechtlicher Hinsicht sind all diese Themen „Neuland“ und von der Rechtsprechung ist an dieser Stelle im Moment noch nicht viel zu erwarten, weil es kaum Entscheidungen zu diesen Themen gibt.
Eltern ringen mit den (oft im Ausland ansässigen) Inhaber-Gesellschaften sozialer Medien um die Accounts ihrer minderjährigen Kinder, Erbengemeinschaften sind sich uneinig, ob und in welcher Form, Blogs oder Homepages weiter betrieben oder stillgelegt werden sollen. Für die Auflösung eines Bitcoin-Vermögens fehlen Zugangsdaten.
Was sind bisher (halbwegs) gesicherte rechtliche Erkenntnisse ?
1.
Das Eigentum an PC, Laptop, Smartphone oder einer Festplatte geht mit dem Tod der Inhaberin/des Inhabers auf dessen Erbinnen/Erben über.
2.
Vorhandene Zugangsdaten dürfen Erbinnen/Erben nutzen, gleich um welchen Dateninhalt es geht (auch bei vertraulichen Dateninhalten).
3.
Ein Provider-Vertrag und alle ähnlichen online-Rechtsverhältnisse gehen mit allen Rechten und Pflichten auf die Erbinnen/Erben über. Sie werden originäre Vertragspartner mit allen Auskunfts- Fortführungs- und Kündigungsrechten. Nebenansprüche, wie z.B. die Bekanntgabe des Passwortes, die Zurücksetzung desselben, die Zurverfügungstellung des Vertrages, Löschungsansprüche und Ansprüche auf die Herausgabe von Daten, gehen ebenfalls über.
4.
Inhaberschaft und Nutzungsrecht an einer Domain gehen ebenfalls auf die Erbinnen/Erben über. Das Vertragsverhältnis mit der DENIC kann Nach §7 Abs.1 der DDB ohne Kündigungsfrist jederzeit gekündigt werden.
5.
Vertragsverhältnisse mit facebook, Twitter, Youtube etc. gehen ebenfalls mit allen Rechten über. Die Erbinnen/Erben bestimmen, was mit account-Inhalten geschehen soll. Dies gilt auch für Bilder der Erblasserin/des Erblassers. Vorsicht ist geboten bei einer etwaigen Neuveröffentlichung von Bildern, da hier möglicherweise die nahen Angehörige zuvor einwilligen müssen.
6.
Nutzungsrechte ( z.B. Musik-downloads, Videos, E-Books, Apps) gehen über, soweit sie mietähnlichen Charakter haben und die AGB der Rechteinhaber nichts anderes, z.B. die Beschränkung der Nutzung auf die Lebenszeit, vorsehen. Apple erklärt beispielweise in seinen Nutzungsbedingungen zu iCloud , dass die Rechte an der Apple-ID mit dem Tod der Inhaberin/des Inhabers erlöschen und das Konto nicht übertragbar sei.
7.
Lizenzverträge an Programmen gehen auf die Erbinnen/Erben über.
8.
Das postmortale Persönlichkeitsrecht geht ebenfalls auf die Erbinnen/Erben über. Dienstanbietern ist es verwehrt, unter Berufung auf dieses Recht die Herausgabe von Daten zu verweigern.
9.
Nahe Angehörige haben kein Recht auf Zugang zu Daten oder auf Daten selbst, weder gegenüber den Anbietern, noch gegenüber den Erbinnen/Erben.
10.
Ein von der Erblasserin/dem Erblasser eingesetzter digitaler Treuhänder ist befugt, die Rechte der Erblasserin/des Erblassers geltend zu machen. Wurde kein Treuhänder bestellt, steht dieses Recht den Erbinnen/Erben und erst danach den nahen Angehörigen zu.
11.
Angehörige und Freundinnen/Freunde sind berechtigt ein virtuelles Kondolenzbuch einzurichten, solange und soweit kein entgegenstehender Wille der Erblasserin/des Erblassers existiert und die Menschenwürde nicht beeinträchtigt wird. Unterlassung (nicht Schadenersatz) können die Erbinnen/Erben und die nahen Angehörigen geltend machen.
Was ist zu tun ?
1.
Zunächst sollten Sie sich Gedanken darüber machen, was möglicherweise zu Ihrem persönlichen digitalen Nachlass gehören würde. Erstellen Sie eine Liste und überlegen Sie, wie Sie diese bestehenden vertraglichen Verbindungen und Vermögenspositionen im Falle Ihres Todes behandelt wissen möchten. Wer soll Zugang erhalten, wer soll sie erben ?
3.
Erbrechtliche Verfügungen gehören in Ihr Testament. Dazu gehören Anweisungen an die Erbinnen/Erben, wie sie mit einzelnen Positionen zu verfahren haben ( Löschung, Aufrechterhaltung, Kündigung etc.)
Ein wichtiger Zusatz, um die Erbinnen/Erben halbwegs handlungsfähig zu machen, wäre folgende Formulierung:
Meine Erben sind berechtigt, in alle meine online-Rechtsbeziehungen einzutreten und haben Anspruch auf alle meine gespeicherten geschäftlichen und privaten Daten.
Es wäre auch möglich, im Rahmen eines Vermächtnisses einer bestimmten Person Ihren digitalen Nachlass gesondert zuzuwenden oder einen digitalen Testamentsvollstrecker zu bestimmen und diesem ganz konkrete Handlungsanweisungen zu erteilen. Hierzu sollten Sie sich gegebenenfalls beraten lassen, da es eine Fülle von Möglichkeiten gibt, die hier nicht alle darstellbar sind.
3.
Verwaltungstechnische Regelungen gehören in Ihre Vorsorgevollmacht.
Eine gute bereits bestehende Generalvollmacht kann hinreichend sein, auch digitale Inhalte zu regeln. Besser ist es jedoch, konkrete auf Ihre digitalen Rechtsbeziehungen konkret bezogene Vollmachten gesondert zu erteilen.
Folgende Formulierungen könnten Sie wählen und Ihrer Generalvollmacht hinzufügen.:
Diese Vollmacht ermächtigt die Vollmachtnehmer/innen auch zur Regelung meines gesamten digitalen Vermögens und aller damit im Zusammenhang bestehenden Rechte und Vertragsbeziehungen ( Homepage, Domains, Email-Accounts, sämtliche Hard- und Software, Lizenzen, Providerverträge, Cloud, soziale Netzwerke, Blogs, Paypal, Internetkonten und -depots, Dokumente, Bilder, Videos, Nutzungsrechte (iTunes, Kindle, etc) . Die Vollmacht berechtigt die Vollmachtnehmerinnen/Vollmachtnehmer zur Geltendmachung sämtlicher Haupt- und Nebenrechte aus Verträgen, Herausgabe und Löschung von Inhalten, Nutzung/Änderung von Passwörtern zu verlangen, zur Geltendmachung von Auskunftsrechten sowie allgemein und allumfassend zur Abgabe und Entgegennnahme von Willenserklärungen aller Art. Ich befreie sämtliche Anbieter und Personen von etwaigen Geheimhaltungspflichten (insbesondere nach dem TKG) gegenüber den Bevollmächtigten.
4.
Um die Liste Ihrer Internet-Aktivitäten und die dazugehörigen Passwörter sicher in die Hände Ihrer Erbinnen/Erben oder Vermächtnis- oder Vollmachtnehmer zu bringen, können Sie folgendes tun:
Erstellen Sie eine Übersicht in elektronischer Form und speichern Sie diese auf einem USB-Stick/einer DVD. Hinterlegen Sie diese bei einem Notar mit einem Masterpasswort und einer Hinterlegungsanordnung. Der Notar erhält dann eine Herausgabeanweisung an die Erbinnen/Erben oder Vollmachtnehmerinnen/Vollmachtnehmer bzw. den Testamentsvollstrecker. Vergessen Sie aber bitte nicht, bei Passwortänderungen, diese auch in der hinterlegten Variante wieder zu ändern und von Zeit zu Zeit Ihre Liste zu überprüfen und falls erforderlich zu ergänzen.
Oder Sie hinterlegen diese Liste mit den Passwörtern selber an einem sicheren Ort. Vergessen Sie aber bitte nicht, Ihren Vollmachtnehmerinnen/Vollmachtnehmern diesen Ort auch zu verraten (und nicht erst in Ihrem Testament ! ), denn dieses wird unter Umständen erst Monate nach Ihrem Tod eröffnet.
Seien Sie mit der persönlichen „Versteck-Variante“ vor- und umsichtig. Passwörter sind wie Wohnungsschlüssel, sie gewähren jedermann Einlass und Zugang zu Ihren Vermögenswerten und wenn man älter wird, vergisst man schnell wo man sie hingelegt hat.
Ich hoffe, Ihnen mit diesem Beitrag einen kleinen Einblick in die bestehende Problematik gegeben und Sie ein wenig motiviert und sensibilisiert zu haben, Ihre digitalen Dinge vernünftig zu regeln.
Da die in diesem Zusammenhang bestehenden rechtlichen Probleme noch gar nicht alle erfasst und erfassbar sind und die Lösungen, die von der Rechtsprechung und von Anwaltsseite angeboten werden können, wirklich noch in den Anfängen stecken, wäre ich für jede Frage und Anregung dankbar.
Herzliche Grüße
Heidrun Sorgalla